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Stromnetzkauf: Stadtwerke Metzingen und EnBW einigen sich


Nach langen Verhandlungen haben sich Stadtwerke und Netze-BW AG (ehemals EnBW Regional AG) auf einen Kaufpreis geeinigt. Der Gemeinderat hat in nichtöffentlicher Sitzung einstimmig beschlossen, dem Verhandlungsergebnis grundsätzlich zuzustimmen. Über das Verhandlungsergebnis wurde Stillschweigen vereinbart. Der Kaufpreis sei für beide Seiten wirtschaftlich vertretbar. „Die Investition wird sich in vielerlei Hinsicht rentieren“ ist sich Oberbürgermeister Dr. Ulrich Fiedler sicher. Damit geht das Netz nun drei Jahre später auf die Stadtwerke über als im Juli 2011 vom Gemeinderat beschlossen wurde. Der 20jährige Konzessionsvertrag zwischen Stadt und der EnBW Regional AG hätte eigentlich am 31.12.2012 geendet. Ungewöhnlich ist die lange Verhandlungsdauer nicht. Auch bei Netzübernahmen in anderen Städten kam es in den letzten Jahren zu ähnlichen Verzögerungen mit fast identischen Streitfragen.
 
 „Ich freue mich unglaublich, dass ich diese Nachricht verkünden darf“, sagt Oberbürgermeister Dr. Ulrich Fieder. Der Stromnetzkauf gehöre zu den wichtigsten und nachhaltigsten Zukunftsentscheidungen, die bislang in seiner Amtszeit getroffen worden seien. Der Betrieb eines Stromnetzes zähle - wie die Kinderbetreuung, Schulen, Krankenhäuser, öffentlicher Personennahverkehr, Müllabfuhr, Wasser- und Gasversorgung - zu den elementaren Bestandteilen der Daseinsvorsorge. Deshalb sei es gut, wenn eine Kommune direkten Einfluss darauf nehmen könne: „Das Netz gehört jetzt den Bürgern dieser Stadt und nicht mehr einem Konzern, der nichts mit Metzingen zu tun hat.“ Wichtig ist ihm auch, dass die Wertschöpfung nun in Metzingen bleibt: „Die Gewinne fließen nicht in Konzernzentralen, sondern sie bleiben hier und kommen Metzingen zugute. Auch die Arbeits- und Ausbildungsplätze entstehen und bleiben in Metzingen und die Aufträge können so eher an örtliche Firmen vergeben werden.“ 
Hier sei er sich seiner Verantwortung als Oberbürgermeister sehr bewusst gewesen. Es galt die Gunst der Stunde zu nutzen. Eine Stadt haben nun mal sehr wenige Möglichkeiten, Einnahmen zu erzielen, ohne dabei ihre Bürger und Unternehmer zusätzlich zu belasten, wie
es zum Beispiel bei der Grund- oder Gewerbesteuer der Fall ist. „Ohne die verlässlichen und stetig steigenden Gewinne unsere Stadtwerke wäre unser städtischer Haushalt in den letzten Jahren an seine Grenzen gekommen, und wir hätten beispielsweise während der Finanzkrise viele Millionen an anderer Stelle einsparen müssen.“
 
Carmen Haberstroh und Giancarlo Bragagnolo, die beiden Werkleiter der Stadtwerke, freuen sich und sind zugleich erleichtert: „Unser großes Ziel, den Menschen und Unternehmen in Metzingen Ver- und Entsorgung aus einer Hand anzubieten ist jetzt endlich in greifbarer Nähe.“ Damit gibt es für alle Fragen in diesem Zusammenhang nur noch einen Ansprechpartner. Gleichzeitig versprechen sich die Werkleiter Synergien und Kosteneinsparungen: „Ein gemeinsamer Betrieb von Gas-, Wasser-, Wärme- und Stromversorgung sowie der Abwasserentsorgung ist kostengünstiger als wenn jeder Bereich separat  betrieben wird.“ Das betreffe nicht nur die gemeinsame Abrechnung, sondern auch beispielsweise gemeinsame Baumaßnahmen.
 
Momentan sei man jetzt noch dabei, die letzten Details in den Verträgen zu regeln. Die Entflechtungsmaßnahmen (eigentumsrechtliche Trennung der Netze) werden derzeit schon umgesetzt. Unter anderen bauen die Stadtwerke dazu einen neue Mittelspannungsleitung im Bereich Kiefernweg/Nürtinger Straße und im Kehnerweg/Hofbühlstraße. Auch die technische Betriebsführung des Stromnetzes ist bereits ausgeschrieben. Die Stadtwerke suchen hierzu einen erfahrenen Dienstleister. Dieser wird dann von Technischen Abteilung der Stadtwerke koordiniert. „Seit Anfang des Jahres haben wir mit Michael Klink einen erfahrenen Stromfachmann im Team“, freut sich Giancarlo Bragagnolo. 
 
Im kaufmännischen Bereich laufen die Vorbereitungen ebenfalls auf Hochtouren. „Hier wollen wir künftig alles mit unseren eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erledigen können “, sagt Carmen Haberstroh, Kaufmännische Leiterin der Stadtwerke. Das sei zwar sehr anspruchsvoll und eine große Herausforderung, aber mit dem richtigen Engagement und guten Mitarbeitern durchaus machbar. „Ich bin zwar auch ein wenig nervös, ich bin aber guter Dinge“, sagt sie. Sie habe ein tolles Team, das auch den Einstieg in den neuen Stromvertrieb vor knapp drei Jahren bravourös und ohne fremde Hilfe gemeistert habe. Innerhalb kürzester Zeit sei es ihrem Team gelungen, die Kundenanzahl der Stadtwerke um 50 Prozent zu steigern und die dazugehörigen Prozesse in die Abläufe zu integrieren. Mit der Übernahme des Stromnetzes wird die Kundenzahl der Stadtwerke nochmal verdoppelt, da der Netzbetreiber für jeden Hausanschluss und Stromzähler in Metzingen verantwortlich ist – egal, ob die Kunden ihren Strom bei den Stadtwerken oder woanders her beziehen. Die Prozesse liefen sehr ähnlich wie bei der Gasversorgung. Unter anderem könne deshalb auch das bereits vorhandene Abrechnungssystem der Stadtwerke genutzt werden. „Das bringt uns Synergien und Kostenvorteile für alle anderen Geschäftsbereiche“, davon ist die kaufmännische Werkleiterin überzeugt, zumal die Mitarbeiter hier ihr bereits vorhandenes Know-how einbringen können.
 
„Sehr dicke Bretter mussten gebohrt werden.“ Da sind sich Oberbürgermeister Dr. Ulrich Fiedler sowie Carmen Haberstroh und Giancarlo Bragagnolo einig. Seit 2009 haben alle drei – samt deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - sehr intensiv an der Übernahme gearbeitet. Ursprünglich aus der Idee heraus, die Stadtwerke auch weiterhin zukunfts- und konkurrenzfähig aufzustellen und gleichzeitig den Wohn- und Wirtschaftsstandort Metzingen noch attraktiver zu machen. Anfangs galt es deshalb zunächst, viele Informationen zu sammeln und sich in die Materie einzuarbeiten. „Wir haben gemeinsam viele hundert Stunden investiert, viele Varianten durchgespielt und zigmal alles durchgerechnet. Von vorne nach hinten und von hinten nach vorne“, erzählt Carmen Haberstroh. Als dann klar gewesen sei, dass es für die Stadtwerke machbar ist und es sich für die Stadt sowie deren Bürger und Unternehmen lohnt, musste ein tragfähiges Konzept ausgearbeitet werden, um sich für die Stromkonzession bewerben zu können. Anschließend musste viel Informations- und Überzeugungsarbeit geleistet werden. „Ich habe größte Hochachtung vor den Gemeinderätinnen und Gemeinderäten, aber auch vor den interessierten Bürgerinnen und Bürgern“, so der OB, „mit wie viel Zeit und Engagement auch sie sich in die zuweilen hochkomplexe Materie eingearbeitet haben.“ Allein bis zur Entscheidung über die Stromkonzession und damit dem grundsätzlichen „Ja“ zum Stromnetzkauf im Juli 2011 gab es insgesamt 18 Gemeinderatssitzungen und 8 zusätzliche öffentliche Veranstaltungen wie beispielsweise Bürgerversammlungen oder von Parteien oder Fraktionen organisierte Podiumsdiskussionen – flankiert von über 30 Presseberichten zu  diesem Thema.
 
Nach der Konzessionsentscheidung im Sommer 2011 gab es dann nur ein kurzes Durchschnaufen für die Metzinger. Es folgte ein Verhandlungsmarathon mit einigen Tiefschlägen. Anlass für den Marathon waren Regelungslücken im Energiewirtschaftsgesetz*).  Dort ist zwar unter anderem geregelt, dass nach Ende des Konzessionsvertrages der alte Stromnetzbetreiber dem neuen Stromnetzbetreiber das Netz übergeben muss, aber nicht zu welchem Preis. Das Gesetz verpflichtet nur zur Zahlung einer „wirtschaftlich angemessenen Vergütung“. Bei der Frage, was angemessen ist lagen die Auffassungen der beiden Parteien meilenweit auseinander. Die Stadtwerke wollten nur den so genannten Ertragswert zahlen und stützten ihre Haltung auf die seither ergangene Rechtsprechung zu diesem Thema. Die EnBW forderte hingegen den Sachzeitwert, der deutlich höher liegt als der Ertragswert und der es für die Stadtwerke unwirtschaftlich gemacht hätte, das Stromnetz zu übernehmen. Eine weitere Regelungslücke bestand beim Thema „Entflechtung“ (wie wird das Netz eigentumsrechtlich abgetrennt und wer zahlt die dafür entstehenden Kosten). Auch hier waren die Vorstellungen beider Parteien sehr konträr.
 
Zunächst hatte man deshalb versucht, einen Kompromiss auszuarbeiten. Um Kosten bei der Entflechtung zu vermeiden – die auch zum Nachteil der EnBW gewesen wären – wurde 2012 eine bis Ende 2015 befristete Interimslösung verhandelt: Die Stadtwerke wären bereit gewesen, das Netz von 2013 bis Ende 2015 an die EnBW zu verpachten. Nach 14- monatiger Verhandlung hatte dann die EnBW Anfang 2013 überraschend ihr Angebot zurückgezogen. Dem Oberbürgermeister platzte daraufhin der Kragen. Er warf der EnBW Verzögerungstaktik vor, mit der sie nun – anders als beim Kompromiss – den vollen Gewinn in dieser Zeit für sich beanspruchen könne.  Auch der Gemeinderat stütze seine Auffassung und hat sich im Anschluss intensiv damit befasst, gegen die EnBW zu klagen.
 
Hier wurde dann der damals neue Vorstand Frank Mastiaux hellhörig, nachdem der Metzinger OB seinen Unmut auch direkt an ihn weitergegeben hatte. Mastiaux hatte bei seinem Amtsantritt im Oktober 2012 gesagt, seine Vision der „neuen EnBW“ sei unter anderem, dass sie zukünftig offen für neue und kreative Partnerschaften sein solle. Dazu gehören unter anderem auch Dienstleistungen für Stadtwerke und Kommunen. Eine Klage wäre ein schlechter Start und ein falsches Signal für diese Strategie gewesen.
 
Oberbürgermeister Fiedler schlug deshalb die Tür nicht sofort zu, zumal auch die Stadt Metzingen Interesse daran hatte, ein vielleicht langwieriges Klageverfahren zu vermeiden.  Es wurde ein zweiter Anlauf vereinbart, sich außergerichtlich zu einigen. Aber auch der war dann immer wieder holprig. Der erste Durchbruch kam dann vor einem Jahr, als man sich auf eine kostengünstigere Entflechtungsvariante geeinigt hatte. Bis zur jetzigen Einigung war es dann aber noch ein steiniger Weg, bei der dann immer wieder die „Klage“ im Raum stand. „Am Ende siegte jetzt die Vernunft und der Pragmatismus“ zeigt sich Oberbürgermeister Dr. Ulrich Fiedler zufrieden: Beide Parteien hätten sich aufeinander zubewegt. „Beide können mit dem Ergebnis leben und sich auch weiterhin in die Augen schauen.“ Und auch der langen Verhandlungsdauer kann er positive Dinge abgewinnen. Was die Höhe des Kaufpreises und der Entflechtungskosten anbelange, habe sich die Zeit und auch das Streiten mehr als gelohnt.  Carmen Haberstroh ergänzt: „Wir haben die Zwischenzeit ebenfalls gut genutzt und sind in den Stromvertrieb eingestiegen. Zeitgleich beides zu machen, hätten wir personell gar nicht leisten können.“
 
Alle – insbesondere Oberbürgermeister und die beiden Werkleiter - sind allerdings erleichtert, dass sie ihre Zeit jetzt wieder für das Gestalten nutzen können: „Die vielen Verhandlungsrunden und das Streiten waren sehr zeitaufwendig und anstrengend. Wir haben bis zum Jahresende noch so viel vor uns, da brauchen wir jede freie Minute“ sagen alle drei unisono.

*Die Politik hat den Handlungsbedarf zwischenzeitlich erkannt. Noch im Sommer soll ein neuer Gesetzesentwurf eingebracht werden, der die Lücken im Energiewirtschaftsrecht schließen und für die Kommunen und Konzessionsnehmer mehr Rechtssicherheit schaffen soll.

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